07 Okt Was ändert sich durch die Grundsteuerreform?
Bereits seit vielen Jahren wird bundesweit über eine Reform der Grundsteuer diskutiert. Ab Anfang 2025 wird die geänderte Grundsteuer in der Praxis umgesetzt und für alle Bürgerinnen und Bürger spürbar. Im Interview erklärt Sankt Augustins Bürgermeister Dr. Max Leitterstorf, der bis zu seinem Amtsantritt 2020 an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg als Professor für Betriebswirtschaft tätig war, die Hintergründe und Auswirkungen der Reform.
Warum wird die Grundsteuer überhaupt reformiert?
Bürgermeister Dr. Max Leitterstorf: Die Grundsteuer basiert aktuell auf einer veralteten Bewertung der Immobilien, den sogenannten Einheitswerten von 1964 bzw. 1935. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht 2018 entschieden, dass ab 2025 eine Besteuerung anhand aktuellerer Werte erfolgen muss. Ende 2019 hat der Bundestag auf Vorschlag des damaligen Bundesfinanzministers Olaf Scholz das sogenannte Bundesmodell als neue gesetzliche Regelung beschlossen. Diesem Modell hat sich das Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) angeschlossen.
In welchen Schritten wird die Reform umgesetzt?
Damit die Finanzämter die notwendigen neuen Berechnungsgrundlagen ermitteln können, mussten Bürgerinnen und Bürger in ganz Deutschland eine sogenannte Feststellungserklärung abgeben. In NRW musste dies bis zum 31. Januar 2023 erfolgen. Mit den Daten ermitteln die Finanzämter den neuen Grundsteuerwert des jeweiligen Grundstücks bzw. Gebäudes und setzen ihn in einem Grundsteuerwertbescheid fest. Aus diesem Wert und der gesetzlich festgelegten Steuermesszahl wird der Grundsteuermessbetrag errechnet. Dies ist ein eigener Verfahrensschritt, der mit dem Grundsteuermessbescheid abgeschlossen wird, den die Bürgerinnen und Bürger von ihrem Finanzamt bereits erhalten haben oder noch erhalten werden.
Sollte es bei den Immobilien-Werten Unstimmigkeiten oder Rückfragen geben, ist das jeweilige Finanzamt und nicht die Stadt der richtige Ansprechpartner. Der Messbescheid verpflichtet noch nicht konkret zu einer Zahlung, ist allerdings sehr wichtig und verbindlich – auch für die Stadt Sankt Augustin, die davon nicht abweichen darf. Damit wird die Grundlage geschaffen, auf der die Stadt ab dem kommenden Jahr mit ihren Hebesätzen für die Grundsteuer A (Land- und Forstwirtschaft) und die Grundsteuer B (Wohnen und Gewerbe) die konkreten Grundsteuerbescheide mit Zahlungsverpflichtung erlassen wird.
Was verändert sich durch die Grundsteuerreform für die Bürgerinnen und Bürger?
Ob Bürgerinnen und Bürger ab 2025 mehr Grundsteuer als zuvor bezahlen, hängt nach dem neuen Grundsteuerrecht des Bundes zunächst von der Wertentwicklung des Grundbesitzes ab. Stellt sich bei der Neubewertung heraus, dass der Grundbesitz an Wert zugelegt hat – z.B. weil sich eine ehemals günstige Randlage zur mittlerweile gesuchten Wohnlage gewandelt hat – wird die Grundsteuer wahrscheinlich steigen. Der Anstieg kann je nach Wertentwicklung deutlicher oder weniger stark ausfallen. Natürlich ist umgekehrt auch ein Absinken der einzelnen Steuerlast oder ein Gleichbleiben denkbar. Weil sich mit der Reform sämtliche Grundsteuerwerte verändern, müssen alle Städte und Gemeinden ihre Hebesätze rechnerisch daran anpassen.
Was bedeuten in diesem Zusammenhang „aufkommensneutrale“ Hebesätze?
Das Land hat für alle Kommunen die Hebesätze der Grundsteuer berechnet, die zur „Aufkommensneutralität“ bei der jeweiligen Stadt oder Gemeinde führen würden. Der Begriff bedeutet, dass die Stadt nach Umsetzung der Reform ihr Grundsteueraufkommen von derzeit rund 16 Millionen Euro pro Jahr insgesamt stabil halten kann. Der Grundgedanke ist, dass durch die Reform die Stadt in Summe weder mehr noch weniger Grundsteuer einnehmen soll. „Aufkommensneutral“ bedeutet jedoch nicht, dass die individuelle Grundsteuer gleichbleiben wird. Denn wenn die Neubewertung ergibt, dass die jeweilige Immobilie vergleichsweise stark an Wert zugelegt hat, dann steigt dafür künftig die Grundsteuer. Analog kann durch einen niedrigeren Immobilien-Wert die individuelle Grundsteuer-Belastung sinken. Durch die neuen Immobilien-Werte wird es also definitiv „Gewinner“ und „Verlierer“ der Grundsteuer-Reform geben – und dies auch bei gleicher Einnahmesituation der Stadt.
Eine wesentliche Kritik am Bundesmodell ist, dass Wohngrundstücke im Verhältnis zu Gewerbegrundstücken unverhältnismäßig stärker belastet werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass für die Berechnung der Grundsteuer aktuelle Werte verwendet werden müssen. Wohngrundstücke sind in den vergangenen Jahrzehnten stärker im Wert gestiegen als Gewerbegrundstücke. Niemand wünscht sich, dass Wohnen teurer wird. Deswegen wurde viel darüber diskutiert, ob und wie dieser Effekt ausgeglichen werden kann.
Kann die Stadt den Effekt zwischen Wohn- und Gewerbe-Immobilien ausgleichen?
Das Land NRW hat sich für die sogenannten differenzierten Hebesätze entschieden. Das bedeutet, dass die Kommunen die Option haben, einen unterschiedlichen Hebesatz für Wohn- und Gewerbegrundstücke festzulegen. Dabei gilt, dass alle Immobilien, die nicht ausschließlich „Wohnen“ sind, also auch gemischt genutzte Immobilien, wie Gewerbeimmobilien behandelt werden. Der einheitliche aufkommensneutrale Hebesatz für die Grundsteuer B in Sankt Augustin liegt laut Berechnung des Landes bei 755. Bei einer Differenzierung wären laut Berechnung des Landes die Hebesätze 685 für Wohnen und 1069 für Gewerbe. Bei diesen Zahlen muss man berücksichtigen, dass bei Gewerbegrundstücken die Grundsteuermessbeträge (also der Wert der Immobilien) im Vergleich zu vor der Reform in Summe gesunken und bei Wohngrundstücken gestiegen sind. Mit den differenzierten Hebesätzen könnten Kommunen wie die Stadt Sankt Augustin also den Effekt zwischen Wohn- und Gewerbe-Immobilien abmildern. Allerdings bestehen noch Zweifel, ob das Land rechtzeitig rechtliche Bedenken ausräumen und die IT-seitige Umsetzung sicherstellen kann.
Was ist Ihre Position als Bürgermeister und wie wollen Sie sicherstellen, dass die Auswirkungen der Reform einzelne Bürgerinnen und Bürger nicht zu hart treffen?
Als Stadt Sankt Augustin müssen wir die Grundsteuerreform auf Basis der neuen Immobilien-Werte umsetzen – da haben wir keine Wahl. Das einzige Steuerungsinstrument für uns als Stadt sind die Grundsteuerhebesätze. Um die Auswirkungen der Reform für die Bürgerinnen und Bürger bestmöglich abzufedern, ist es mein Ziel, dass ab 2025 in Sankt Augustin die „aufkommensneutralen“ Hebesätze gelten. Die Stadt sollte also in Summe weder mehr noch weniger Grundsteuer einnehmen als in 2024. Angesichts der angespannten Haushaltslage wird dies eine große Herausforderung sein. Zudem können durch unterschiedliche Hebesätze für Wohnen und Gewerbe die durch die Reform aufgetretenen höheren Belastungen für Wohngrundstücke – und damit für alle Menschen, die in Sankt Augustin wohnen – etwas abgemildert werden. Dies spricht dafür, diese neue Option des Landes zu nutzen und die Hebesätze für die Grundsteuer B zwischen Wohnen und Gewerbe künftig zu differenzieren. Letztlich müssen diese Fragen aber sorgsam politisch beraten und im Stadtrat entschieden werden. Spätestens mit dem Beschluss über den Haushalt für das Jahr 2025 wird festgelegt, welchen Weg Sankt Augustin gehen wird. Darüber werden wir dann selbstverständlich schnellstmöglich informieren, damit für alle Bürgerinnen und Bürger bei diesem schwierigen Thema möglichst schnell Klarheit besteht.